5. Der Ausbruch der Cholera in Hamburg

Die konsequente Sanierung der Städte durch die Einführung einer Kanalisation und der zentralen Wasserversorgung sollte – nach Pettenkofer – auch dem Cholera-Keim die Möglichkeit zur Bildung jenes Krankheitsstoffes „im Boden“ nehmen. Auf der anderen Seite verführte aber die Pettenkofersche Theorie dazu, in dennoch ausbrechenden Epidemien direkte Schutzmaßnahmen gegen die Aufnahme des Erregers über das Trinkwasser, über kontaminierte Nahrungsmittel oder über die Wäsche bedeutend zu vernachlässigen.

Das Filtern von Flusswasser wurde in England bereits 1855 obligatorisch. Flusswasser wurde dort durch Sandfilter geleitet, bevor es in das unsichtbare Versorgungssystem der Städte eingespeist wurde. Die Verwendung dieser langsamen Sandfilterbetten für die Trinkwasseraufbereitung verbreitete sich allerdings in Europa und auch in Nordamerika nur sehr langsam.

Um 1890 verfügte nahezu jedes Haus der Stadt Hamburg über einen Wasseranschluss an das städtische Wasserwerk. Brunnen reichten für die wachsende Bevölkerung Hamburgs schon lange nicht mehr aus, das Trinkwasser wurde aus der Elbe entnommen. Das Wasserwerk mit seiner Entnahmestelle lag in Rothenburgsort, kurz vor den Toren der Stadt, flussaufwärts. Das Wasser der Elbe wurde in drei große Becken geleitet, damit sich dort Schwebstoffe absetzen konnten.

Rothenburgsort, Trinkwasser Schöpfstelle und die drei großen Absetzbecken.
Aus: Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte, Berlin, 1885

„Der Bedarf an Wasser ist aber so groß, daß in diesen Becken selbst für die geringe Vorreinigung durch Sedimentierung keine ausreichende Zeit ist. In Folge dessen gelangt das Wasser, stets gemischt mit Hamburger Fäcalstoffen, direct in die Leitung, da keinerlei Filtration vorhanden ist.“ (1)

Die Wasserfiltration durch Absetzbecken funktionierte nicht. Eine Sandfilteranlage hatte Hamburg zudem immer noch nicht erbaut, obwohl diese 1890 beschlossen worden war. Planung und Bau hatten sich verzögert. Hamburg sparte an der erheblichen Investition.

1892 brach daraufhin eine verheerende Cholera-Epidemie aus. In die Elbe wurden auch die Abwässer der Stadt geleitet. In Rothenburgsort, oberhalb der Stadt, sollte das Wasser der Elbe eigentlich unbelastet sein. Durch Ebbe und Flut gelangte das mit Fäkalien verunreinigte Wasser jedoch auch in die drei Absetzbecken des Wasserwerkes. Hier wurde das Wasser aber nicht ausreichend gereinigt, Cholera-Erreger fanden so über die sich anschließenden Wasserleitungen ungehindert und rasch ihren Weg in alle Stadteile Hamburgs.

Das Wasserkraftwerk der Stadt Altona, flussunterhalb der Stadt Hamburg gelegen, hatte zu dieser Zeit schon einen Sandfilter. Und dort starb, nach Berichten der Behörden, kein Bürger über die Aufnahme von Trinkwasser an der Cholera. In Hamburg entstanden währenddessen entsetzliche Zustände: die städtische Infrastruktur wurde stark überlastet, es fehlte an Fuhrwerken, Krankenhausbetten und an den Kapazitäten, die Leichen zu bestatten.

Der Hamburger Senat und die Bürgerschaft hatten insgesamt eine eher ablehnende Haltung gegenüber kostspieligen wissenschaftlichen und forschenden Arbeiten. So wurde dem leitenden Arzt und Direktor der Staatskrankenhäuser „Neue Allgemeine Krankenhaus Eppendorf“ (heute das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf), „Alte Allgemeine Krankenhaus St. Georg“, Professor Theodor M. Rumpf, vor dem Cholera-Ausbruch deutlich von der Medizinalverwaltung signalisiert, sich mehr auf die Behandlungen Kranker zu konzentrieren.

Und dennoch war den Ärzten in Hamburg der Ausbruch der fünften Cholera Pandemie nicht verborgen geblieben. Sie breitete sich aus Indien nach Osten und Westen auf mehrere Kontinente aus. (Allein in Russland erkrankten bis November 1892 in der Folge 551.473 Menschen, es wurden 266.200 Todesfälle gezählt.) Aus den bereits akut betroffenen Epidemiegebieten in Russland reisten zu dieser Zeit stetig Auswanderer nach Hamburg, um sich dort einzuschiffen. Direktor Rumpfs Assistent Theodor Rumpel, der mit Robert Kochs Methoden des bakteriologischen Nachweises der Cholera vertraut war, kultivierte nun systematisch den Stuhl aller Personen mit Symptomen, die auf Durchfall hindeuteten.

Laut Rumpf waren alle Kulturen aber bisher negativ. In der Nacht des 16. August wurde dann aber ein schwerkranker junger Maurer, der im Hafen arbeitete, mit choleraähnlichen Symptomen nach Eppendorf gebracht und starb dort etwa vierundzwanzig Stunden später. Seine Autopsieergebnisse waren jedoch nicht eindeutig in Richtung Cholera identifiziert worden. Obwohl nun in rascher Folge mehrere offensichtliche Verdachtsfälle der Cholera auftraten, waren zudem Verfahrensweisen angeordnet worden, die eine eindeutige Identifizierung von Cholera so weit erschwerten, dass Anzeichen auf Cholera nicht mehr ausreichten, sondern weitere Tests durchgeführt werden mussten, um einwandfreie Ergebnisse vorlegen zu dürfen:

Die „Kochschen Vorschriften von 1884“ aus dem Königlich Preußischen Institut für Infektionskrankheiten (heute RKI) erforderten nicht nur den mikroskopischen Nachweis des Erregers, er musste auch auf Nährgelatine gezüchtet werden. Wie Robert Koch später selbst zugestand, war es für in der Präparation Unerfahrene schwierig, mit dem Standardverfahren eindeutige Ergebnisse zu erhalten. Dieses Problem sollte sich auch in Hamburg zeigen.

Denn erst als der aus dem Urlaub zurückgekehrte Bakteriologe und Pathologe des Klinikums Eppendorf, Prosektor Eugen Fraenkel, am 22 August 1892 im Stuhl eines verstorbenen Kranken Cholera-Kulturen einwandfrei nachwies, reagierte Direktor Professor Rumpf und sandte ein Telegramm mit der Cholerawarnung an Medicinalinspector Caspar Theodor Kraus. Dieser ordnete jedoch noch weitere Tests an und meldete dem zuständigen Senator Hamburgs, es lägen zwar schon klinische Meldungen zur Cholera vor, der wissenschaftliche Beweis stünde aber noch aus, für die Auslösung eines Choleraalarms und somit die Sperrung des Hafens sei es somit noch zu früh.

Die Cholera geriet nun auch durch diese Verzögerung außer Kontrolle, 55 Kranke lagen zu dieser Zeit schon in den beiden Krankenhäusern St. Georg und Eppendorf. Die Anzahl von infizierten Cholera-Patienten stieg in den folgenden Tagen von 265 am 25. August auf 432 am 30. August dramatisch an. Es wurden in der Folge Feldlazarette neben den Krankenhäusern errichtet, um die gewaltige Flut an Kranken aufnehmen zu können.

Bis Ende August war das Eppendorfer Krankenhaus bereits gezwungen, innerhalb einer Woche 1.576 neue Patienten aufzunehmen, eine Zahl, die die Gesamtkapazität der Klinik bei weitem überstieg. Pferdekutschen, welche Erkrankte zum Krankenhaus fuhren, kamen Leichenwagen in anderer Richtung entgegen. Hunderte von Totengräbern arbeiteten auf dem Stadtfriedhof in Ohlsdorf in Schichten rund um die Uhr und begruben die Opfer in Massengräbern.

Gleichzeitig setzte eine epidemietypische Fluchtbewegung ein, die Menschen flohen aus Hamburg und verteilten die Cholera weiter.

Die bakteriologische Diagnose, die Robert Koch erfunden hatte, konnte in Hamburg ihr Ziel, die Quelle der Infektionen schnell aufzudecken und damit die Ausbreitung zu stoppen, nicht erfüllen. Ärzten fehlte die Praxis für die Kochsche Testmethode, technische Schwierigkeiten bei der Bestimmung traten auf, zudem kam der Widerstand der Medizinalbehörden hinzu. Auch nach dem Gewahrwerden und der verzögerten öffentlichen Bekanntgabe des Cholera Ausbruchs in Hamburg erschwerten die Verantwortlichen es, Ansteckungswege durch Präventionsmaßnahmen auszuschalten.

Die contagonistische, bakteriologische Betrachtungsweise führte in Hamburg nicht zu den akut erforderlichen Änderungen der traditionell geregelten und trägen Verfahrenswege und Vorgehensweisen sowohl der Politik und insbesondere der für Seuchenbekämpfung zuständigen Medizinalverwaltung.

Die rasche Eindämmung der Epidemie durch die Unterbrechung der Übertragungswege z.B. durch die Sperrung des Hafens, wurde auch durch das kurzfristig als wichtiger bewertete wirtschaftliche Interesse verhindert.

Der Preis, den Hamburg dafür zahlen sollte, war ausgesprochen hoch: als die Cholera in Hamburg nach drei Monaten wieder erlosch, waren 16.650 Personen an Cholera erkrankt, die Hälfte davon war verstorben.


Quellen:

  • (1) E. Hueppe, “Zum persönlichen Gesundheitsschutze und zur Krankenpflege,” in Ferdinand Hueppe, Die Cholera Epidemie in Hamburg 1892, Berlin, A. Hirschwald, 1893, S98.
  • Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte, im Archiv des RKI.
  • Medicinal-Collegium Hamburg, „Die Gesundheitsverhältnisse Hamburg im neunzehnten Jahrhundert“, Hamburg, 1901
  • Guenter B. Risse, University of California, San Francisco, Cholera and Eppendorf General Hospital, Hamburg, 1892
  • Ursula Weisser, Tod in Hamburg. Die große Choleraepidemie von 1892 im Zeichen der neuen bakteriologischen Seuchenlehre, Vortrag im Wissenschaftshistorischen Kolloquium des Medizinhistorischen Intituts der Universität Mainz, 07.02.1995