Bremsberg? Seilbahn? Funicular? Oder Wasserballast-Standseilbahn?

Das historische Klärwerk beheimatete eine Anlage zum anheben und transportieren der Loren mit Klärgut, die wir ja vor einigen Monaten bereits wieder freigelegt hatten, [siehe Bremsberghaus].

Funktion: Auf einem doppelten eigenständigen Schienenstrang, der gut 3m Höhendifferenz auf einer Schräge überwindet, wurden die Loren mit dem Klärgut oder dem gewonnenem Sand aus dem Sandfang, auf eigenen Wagen huckepack angehoben und befördert. Aus der erhaltenen Inventarienzeichnung geht hervor, dass das Nebengebäude Bremsberghaus benannt war, die Funktion also ein „Bremsberg“ ist.

Aus einer handschriftlichen Überlieferung und aus industriearchäologisch untersuchten Details wissen wir zudem, dass es sich um ein Seilbahnsystem handelte, das mit Wasser angetrieben wurde. Beide Wagen waren mit einem Drahtseil verbunden und pendelten über mehrere Rollen im oberen Teil des Gebäudes abwechselnd herauf und herunter.

Dazu nutzte man einen grossen Wassertank an der Decke des Bremsberghauses, dessen solide Aufhängung und Abstützung noch gut zu sehen ist. Das Wasser wurde offenbar in den oberen Wagen gefüllt, bis dieser schwerer wurde als der Wagen unten.

Detailzeichnung aus den Inventarienplänen:

Detail Inventarienzeichnung
Detail der Inventarienzeichnung, Seilbahn Bremsberghaus

Woher stammt diese Technik?

B wie BremsBerg, Bergbau? Das einschlägige Handbuch für „Steiger“ liefert folgendes:

Bansen H. (1921) Die Bremsbergförderung. In: Die Streckenförderung. Die Bergwerksmaschinen (Eine Sammlung von Handbüchern für Betriebsbeamte), vol 6. Springer, Berlin, Heidelberg

Bremsberg:
„Auf diesen schiefen Ebenen läßt man die vollen Wagen an Seilen hinunter und nutzt die überschüssige Kraft aus, um gleichzeitig oder später die leeren Wagen aufwärts zu ziehen. Da aber durch diese Arbeitsleistung noch nicht alle überschüssige Kraft aufgebraucht wird, vernichtet man den Rest derselben in Bremsen.“

Eine Sache fällt in dieser Beschreibung auf. Der volle Wagen fährt bergab und zieht den leeren Wagen bergauf, die überschüssige Kraft wird weg gebremst.

Der Duden listet dazu folgendes auf:

„Ein Bremsberg ist eine Fördereinrichtung im Bergbau, bei der auf geneigter Strecke leere Wagen durch gefüllte abwärtsfahrende an Drahtseilen nach oben gezogen werden.“

Das passt so nicht, haben wir gar keine Bremsberg Seilbahn?

Im Klärwerk haben wir es offenbar mit einem anderen System zu tun, der volle Wagen mit dem Klärgut sollte ja aus dem tief liegenden Haus nach oben. Der leere Wagen sollte zurück ins Haus nach unten.

Funis, Funiculus, Funicular, Standseilbahn:

Funicular, von funis, lateinisch für „Seil“, im Sinne von „an einer Schnur oder einem Faden“.

Ein Funicular, auch Standseilbahn, ist ein schienengebundenes Verkehrsmittel, dessen Wagen durch ein oder mehrere Seile bewegt werden. Dadurch können auf kurzer Strecke große Höhenunterschiede überwunden werden. Es verkehren dabei zwei Wagen, die fest mit einem Drahtseil verbunden sind, das in der Bergstation über eine Seilscheibe geführt wird. Die beiden Wagen am Drahtseil halten sich ungefähr im Gleichgewicht, so dass für den Antrieb der Bahn nur kleine Kräfte aufgebracht werden müssen. Der Antrieb erfolgte in der Entstehungszeit der Funiculare oft durch Wasserballast, bis Elektromotoren sich durchsetzten.

Im Klärwerk nutzte man als Ballast Wasser.

Wasserballast?

Mit Wasser als Ballast angetriebene Seilbahn Systeme gibt es bis heute: Bei einer Wasserballast-Standseilbahn wird die Masse des in der Bergstation stehenden Wagens durch Einleiten von Wasser in einen Tank künstlich erhöht. Die Schwerkraft, welche auf die zusätzliche Masse des Wagens wirkt, zieht diesen dann talwärts, wobei der in der Talstation stehende Wagen mittels des über die Seilscheibe laufenden Drahtseils bergwärts gezogen wird. Weil mit der Fahrt die Seillänge und somit das Gewicht des Seils zwischen der Bergstation und dem talwärts fahrenden Wagen stetig zunimmt, zudem die Wagen am Ende der Strecke gebremst werden sollen um nicht anzuschlagen, muss während der Fahrt die Geschwindigkeit durch Bremsen geregelt werden.

Geschichte der Standseilbahnen und Wasserballastbahnen

Die Geschichte der Standseilbahn lässt sich bis ins Jahr 1411 zurückverfolgen, als ein solches Gerät erstmals in einem militärischen Buch dieses Jahres beschrieben wurde. Diese frühesten Standseilbahnen dienten im Wesentlichen dem Transport von Personen und Material zu Burganlagen und Festungen auf Bergkuppen.

Die Hochphase der Standseilbahnen war das ausgehende 19 Jahrhundert, die Anlagen wurden zur Beförderung von Baustoffen, auf Baustellen, bei Staudammprojekten, in den Bergen als Bergbahn für sonst schwierig zu erreichende Berggipfel, aber auch als öffentliches Personentransportsystem in Städten benutzt.

Eine der ersten Wasserballast Seilbahnen ist die Prospect Park Incline Railway an den Niagara Fällen in den USA gewesen, die 1845 eröffnet wurde.

Die erste moderne Standseilbahn die in Europa gebaut wurde, auch eine Wasserballast Standseilbahn war die 1862 zwischen Rue Terme und Croix Rousse in der französischen Stadt Lyon betriebene Anlage. Siehe https://fr.wikipedia.org/wiki/Funiculaire_de_la_rue_Terme

Funiculaire de la rue Terme, siehe hier

Erhaltene in Betrieb befindliche Wasserballastbahnen

Deutschland, Wiesbaden:
Neobergbahn, 1888, in Betrieb. Als letzte Bergbahn dieses Typs in Deutschland ist die Nerobergbahn heute ein technisches Kulturdenkmal.

Neobergbahn, Postkarte, Details siehe Wikimedia, Wikipedia

Schweiz, Fribourg:
Funicular Neuveville – St. Pierre, 04.02.1899
Die letzte Wasserballastbahn der Schweiz. „Kein Motor treibt diese Standseilbahn an, sondern Abwasser aus der Fribourger Oberstadt. Ein ganz spezieller Duft liegt da in der Luft, wenn das Wasser in der Bergstation in den Wassertank unter dem Wagen läuft. Nach der Talfahrt wird das Wasser wieder abgelassen.“
Siehe http://standseilbahnen.ch/fribourg-neuveville.html

Details siehe https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fribourg_funicular.jpg

Portugal, Braga
Elevador do Bom Jesus do Monte, Die Standseilbahn ohne direkten elektrischen Antrieb wurde von Niklaus Riggenbach errichtet und ist nicht nur die älteste der Iberischen Halbinsel, sondern auch die älteste funktionstüchtige Wasserballastbahn der Welt.
Details auch hier

Elevador do Bom Jesus

England, Lynton und Lynmouth an der Nordküste Devons
Lynton & Lynmouth Cliff Railway, 1890

Details siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Lynton_and_Lynmouth_Cliff_Railway

Ausserdem ein interessanter Link zu den Amerikanischen Standseilbahnen. In Amerika war das Prinzip des Funicular, auch in Ausführung von Wasserballastbahnen, sehr verbreitet: Ära der amerikanischen Standseilbahnen

Egal ob Wasserballast-Standseilbahn oder Bremsberg

das Klärwerk hatte eine faszinierende Technik zum Transport der Loren. Einige Fragen bleiben noch offen. Warum ist es Bremsberg benannt?

Lag das vielleicht an den erst offenbar nachträglich angefertigten Inventarienzeichungen, diese sind mit August 1910 datiert, somit erst Jahre nach Baubeginn gezeichnet worden. Wie kamen die Stadtväter auf die Idee, diese recht komplexe Technik einbauen zu lassen, lag es am Zeitgeist, dem Boom dieser Technologie genau zu dieser Zeit?

Oder hat es mit der Industrie- und Gewerbeausstellung in Düsseldorf 1902 zu tun, da jedenfalls sind die führenden Techniker und Technologien ausgestellt worden, auch der deutsche Pionier der Seilbahntechnik, die Firma Adolf Bleichest & Co wa dort, siehe http://www.vonbleichert.eu Unsere Vermutung und mehrere Fäden unserer Forschungen führen zu dieser Ausstellung, auch und insbesondere die vollständige Eisenbeton-Konstruktion des Gebäudes hat vielleicht in Düsseldorf die nötige Inspiration gefunden.

Die Zukunft des „Bremsberges“, oder vielleicht besser „Funiculars“ im Klärwerk?

Wir werden im Rahmen einer Technik AG ein funktionsfähiges Modell anfertigen, danach im Haus in einer 1:1 Rekonstruktion Tests machen und am Ende sollte die Anlage wieder in Betrieb gehen, oder?