Wird alles Abwasser geklärt? Nein!

Eine der Folgen der Industrialisierung ist das anwachsen von kleinen Ortschaften zu größeren Städten, immer mehr Menschen leben seit dem auf engem Raum zusammen. Der Bau von Kanalisationen (auf dem europäischen Festland um 1850 beginnend) und von Klärwerken (seit 1880 beginnend) ermöglichte erst ein gesundes und nicht durch bakteriell übertragene Krankheiten wie Cholera und Typhus bedrohtes Leben in der Stadt, also der Verbesserung der hygienischen Situation im engen Zusammenleben.

Seit dem verschwindet das Wasser als Sauberkeit bringendes Medium in unterirdischen hydraulischen Systemen. Man kann davon sprechen, dass seit diesem Zeitpunkt eine Moderne einsetzte, denn genauso wie mit neuen Transportmitteln, Massenproduktion in Fabriken, dem Beginn des Massenkonsums, wurde das „zur Toilette gehen“ und die „Sehnsucht nach Reinlichkeit“, sich und alles jederzeit waschen zu können, automatisiert.

Sie denken, Abwasser landet immer in der Kläranlage? Falsch.

Dann auch heute noch wird es weitgehend ungefiltert in Gewässer geleitet, manchmal auch samt dem Toilettenpapier. Mehr als 80% des Abwassers der Menschheit wird ungereinigt in Flüsse, Seen und das Meer abgegeben.

Auch in Deutschland wird das Abwasser nicht zu 100% gereinigt.

Die ersten Kläranlagen entstanden in Europa seit 1880, in Krefeld ging unser Klärwerk 1909 in Betrieb. Heute werden in Deutschland über 90% des Schmutzwassers in Kläranlagen gereinigt.

Diese Kläranlagen übernehmen für uns die Aufgabe, die zuvor in das Wasser gemischten Schmutzstoffe am Ende der Kanalisation zu trennen.

Dabei verbrauchen kommunalen Kläranlagen übrigens enorme Mengen an Energie. In Deutschland ca. 3,8 Milliarden Kilowattstunden, das ist ein Anteil von 0,7 Prozent am deutschen Gesamtstromverbrauch. Die Kläranlagen der Industrie sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt, denn deren Daten liegen nicht vor.

Was geschieht mit dem restlichen Abwasser?

Auch hier in Europa gelangt die Kanalisation bei Starkregen an ihre Grenzen, dann fangen Becken und Rückhaltebereiche dieses Wasser auf, dass nach und nach zur Kläranlage geleitet wird. Aber bei extremem Regen sind auch diese Becken heute nicht ausreichend und das Abwasser, zwar nun stark verdünnt, wird in Flüsse und Seen abgeleitet. Der Fachbegriff dafür lautet „Mischwasserentlastung“. Im Klimawandel kommt diese Situation immer häufiger vor.

Die Zielvorgabe der Europäischen Union in der Wasserrahmenrichtlinie sagt, das bis zum Jahr 2027 alle Gewässer in der EU in gutem ökologischen und ebenso chemischen Zustand sein sollen. Die Messungen heute ergeben allerdings, dass ökologisch dies nur für rund jedes zehnte Fließgewässer bisher so ist.

Und unsere Städte wachsen immer weiter, immer mehr Flächen werden versiegelt, der Klimawandel führt zu noch heftigeren Starkregen- Ereignissen und die Verschmutzungen nehmen weiter zu. 

Wie funktioniert eine Kanalisation?

Unsere moderne Kanalisation ist gar nicht so alt. Erst 1842 entstand auf dem europäischen Festland erstmals eine moderne Kanalisation: In Hamburg brannte die gesamte Innenstadt bei einem Großbrand ab und der englische in Hamburg lebende Ingenieur Sir Willian Lindley half die Stadt neu zu bebauen und dabei die erste geregelte Kanalisation anzulegen.

Das Vorbild Hamburg machte danach auf der ganzen Welt Schule, Lindley und seine Söhne erbauten die ersten Kanalisationen. So unter anderem in Frankfurt, Prag, Budapest, Wien, Warschau, St. Petersburg, Sidney. Auch in Krefeld entwarf Lindley die Kanalisation.

Um 1909 wurde nicht nur das erste Klärwerk in Krefeld erbaut, sondern neue Haupt-Abwasersammler aus der Stadt hin zum Klärwerk, danach weiter zum Rhein in Uerdingen.

Situation um 1909, rote Linien: Haupt-Abwasser-Sammler, roter Kreis: Klärwerk

Welche Arten von Kanalisation gibt es?

Eine der herausragenden und umstrittenen Fragen zu dieser Zeit war die Art der Abwasser Ableitung. Sollte nur das Schmutzwasser, getrennt vom Regenwasser, oder aber alles Wasser zusammen und gemischt in den Kanälen aufgenommen werden?

In Deutschland ist dieses „Mischsystem“ bei etwas weniger als der Hälfte der etwa 600.0000 Kilometer Kanalisationskanäle zutreffend. In Nordrhein Westfalen durchschnittlich 61%* und auch in Krefeld wird annähernd alles Abwasser im Mischsystem abgeleitet. *Quelle: H. Brombach, J. Dettmar: KA 5/2019

Das hat Vorteile, denn das Mischsystem ist bedeutend kostengünstiger zu bauen als das Trennsystem. Im Trennsystem müssen die Kanäle und Rohre doppelt verlegt werden. Der größte Nachteil des Mischsystems ist die Entlastung bei Starkregen. Es landet zwar nur ein sehr kleiner Teil ungereinigt in den Gewässern, aber dennoch kommen so jedes Jahr einige Millionen Kubikmeter starke Verschmutzung zusammen. In Nordrhein-Westfalen messen seit kurzem Sensoren, wann und wie viel Wasser ungereinigt in Gewässer abgegeben werden, 2018 waren es 201 Millionen Kubikmeter.

Doch lieber das Trennsystem einführen?

Das Wasserhaushaltsgesetz schreibt schlicht das Trennsystem vor. Aber ist das die Lösung des Problems? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Denn beim Mischsystem wird das gesamte Wasser in der Kläranlage gereinigt, auch das Regenwasser. Und das ist offenbar wichtig, denn auch das Regenwasser in Städten ist stark belastet, der Reifenabrieb von den Straßen ist zB. Mikroplastik.

Andererseits müssen wertvolle Stoffe aus unseren menschlichen Ausscheidungen gesammelt werden. Insbesondere Phosphor ist im Urin enthalten und ein so wichtiger Stoff, den wir unbedingt als Dünger weltweit in der Landwirtschaft benötigen. Bisher wird Phosphor noch weitaus zu wenig aus dem Abwasser rückgewonnen. Verfahren sind aufwändig und teuer. Was wäre, wenn unsere Toiletten das Urin getrennt auffangen würden?

Städte müssen sich wandeln

Weniger Asphalt, weniger Flächenversiegelung, weniger Neubaugebiete, weniger neue Industrieflächen, mehr Grün. Auf Dächern, Fassaden, Bürgersteigen, Straße. Kennen Sie diese häßlichen Steingärten vor dem Haus? Auch auf den Grundstücken.

Die andere Alternative sind nur noch größere Regenbecken. Das ist vielleicht kurzfristig auch unumgänglich, aber bedeutend teurer und weniger Nachhaltig.