Deindustrialisierung und Trumpismus

Können wir von den USA lernen?

Schauen wir auf den „Rust Belt“1, die älteste und größte Stahl- und Automobilindustrieregion der USA. Zwischen 1978 und 1984 verloren allein in Detroit – Michigan 180.000 Arbeiter ihre Jobs. Kaum ein anderer industrieller Sektor wurde ähnlich hart getroffen, wie der in den Staaten Michigan, Pennsylvania, Wisconsin. 

Dort gewann ein gewisser Donald Trump 2016 die Wahl und verlor 2020. Er hatte hatte hier 2016 die erforderlichen Stimmen für den Wahlsieg geholt, weil er die Rückkehr der Industrialisierung mit Jobs und Wohlstand versprach, zu Lasten des Restes der Welt, America first.2 Eingelöst hat er die Versprechen nicht, die Wahl 2020 verloren.

Den Verlust von Moral, Stabilität, sicherer Arbeit, steigende Geringfügigkeit und Kurzfristigkeit der Jobs, all das ist im Rust Belt der USA – wie in jeder sich deindustrialisierenden Region3 – weiterhin zu finden. Industrien wandeln sich, verlieren ihren Markt, ziehen weiter oder ersetzen und erneuern sich. 

Neue Containerterminals oder Logistik-Gewerbegebiete auf der vorher grünen Wiese ersetzen Industrie, Handwerk und lokalen Handel. Arbeit, die Identität der Arbeiter, Angestellten, ihre sozialen Kontakte, ihr verwobenes lokales Umfeld, der urbane Zusammenhang, dies alles schrumpft oder löst sich auf, hier wie transatlantisch. 

Das konnte auch von Trump nicht gestoppt werden. Trump hat sich auch hier selbst entzaubert, aber nun noch größere Wunden im ganzen Land hinterlassen. Verformte und transformierte Landschaften bleiben mit ihren demoralisierten Menschen zurück. Ist das ein warnendes Beispiel für uns? Vielleicht.

Zumindest einer der großen Strukturwandel, der nehenan im Ruhrgebiet, beflügelt durch die IBA mit seiner dort neu entstandenen Industriekultur, hat einen stolzen Rest Identität gerettet, oder gar neue geschaffen? Trumpisten haben dort jedenfalls bisher nicht übernommen, obwohl strukturelle Parallelen erkennbar sind.

Sprung über den Rhein: Vielleicht hat das gemeinsame Gedächtnis in Krefeld noch mehr Erinnerung an andere, vermeintlich bessere, die vorindustriellen Zeiten? Im vergleichsweise kleinen Ort ist die Legendisierung einer vorindustriellen Welt en vougue. Sei es die Zeit der Römer, der Grafen und Burgherren, der Seidenbarone, der bürgerlichen Baurelikte, der Kunstsammlungen der Burgeoisie. 

Zeugnisse der Industrialisierung werden in Krefeld – bis heute – still entsorgt oder entkernt und zur Unerinnerbarkeit verformt. Ihre Geschichten und Auswirkungen auf die Menschen, Wirtschaft, Kultur, Stadt und Landschaft könnten thematisiert und dadurch erinnert werden. Denn ohne sie bleibt nichts. Aber etwas verschwindet. Erinnerung, Zusammenhang und letztendlich auch die Geschichte der Menschen und deren Arbeit.  

Noch ist es nicht ganz zu spät. Es gilt nun diese letzten sichtbaren Auswirkungen jener Industrialisierung zu bewahren, zu interpretieren. Den enormen Wandel, Umbruch, die Veränderungen der Arbeit, jene wirtschaftlichen Schwankungen und Niedergänge, die Zerstörung des Weltkriegs, die Auswirkungen derlei Begebnisse auf Stadt, Bewohner, Umgebung, Umwelt und wie wir seit einigen Jahrzehnten wissen das Klima, sich bewußt zu machen.

Denn genau hier sind die grundlegenden Hinweise zu finden, warum und wie wir in eine deutlich nachhaltigere Zukunft finden müssen. Und darin ist vielleicht einer der vielen kleinen Schlüssel verborgen, um Trumpismus fern zu halten. Denn Nachhaltigkeit beginnt mit Verstehen. 

Siehe auch: Industriekultur

Anmerkungen:

  1. Rust Belt, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Rust_Belt. beispielhaft die „GM Moraine Assembly Fabrik“. Hier wurden mehrere Dokumentarfilme gedreht: „The Last Truck: Closing of a GM Plant“ von Julia Reichert and Steve Bognarder und aktuell auf Netflix „American factory“. Dieser erzählt von der Autofabrik, die schloss und 10 000 Menschen in die Arbeitslosigkeit entließ. Ironie und zu Trumps „China“ Thema: Sie wurde wieder eröffnet, nachdem ein chinesischer Investor übernommen hatte.
  2. https://www.bloomberg.com/news/articles/2016-11-11/trump-s-success-in-small-and-mid-sized-rust-belt-cities
  3. Deindustrialisierung bezeichnet sozialen oder wirtschaftlichen Wandel durch eine Schrumpfung der industriellen Sektoren, vor allem der Schwer- und verarbeitenden Industrie. Es ist das Gegenteil der Industrialisierung. Historische Beispiele in Krefeld:
  • 1970 Stilllegung der Phrix AG in Linn. Zuletzt war die ehemalige Rheinische Kunstseide AG, kurz „Rheika“ eine Unternehmenstochter der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik (BASF) und des US-Konzerns Dow Chemical. Phrix hatte wegen einer verfehlten Investitionspolitik Verluste gemacht und war 1970 auf Beschluß der Hauptaktionäre stillgelegt worden. Innerhalb von vier Monaten verloren 2000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Während der Schliessung, der ersten Massenentlassung in der Bundesrepublik, entstand der Dokumentarfilm „Rote Fahnen sieht man besser“, siehe https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44914690.html und http://www.filmerbe.de/daten/2014/Filme/Rote-Fahnen_pop.php
  • 1971 Krefelder Baumwollspinnerei, von 1350 Arbeitern 1952, ging der Betrieb nieder auf zuletzt nur 1971 noch 258 Angestellte. Das aussergewöhnliche Gebäude wurde von der Stadt Krefeld übernommen und später restlos abgerissen, erhalten ist Arbeitersiedlung Ulmenstraße von 1900.
  • 1996 Philipswerk in Linn. In der Fabrik wurde 1951 der erste Fernseher gebaut, der je in Deutschland produziert wurde, der legendäre „Starenkasten“. Die Produktionsaufnahme im September 1951 begann mit 100 Mitarbeitern. 1954 arbeiteten 500 und 1956 schon 1000 Personen im Werk. Der 2000ste Mitarbeiter konnte 1959 eingestellt werden. Rund zehn Jahre später waren es 3000 Beschäftigte und Ende 1972 zählte man bereits 3250 Mitarbeiter. 1996 wurde das Werk vollständig geschlossen. https://www.wz.de/nrw/krefeld/ausstellung-erinnert-an-philipswerk-in-linn_bid-27921249 https://www.radiomuseum.org/forum/philips_fernsehgeraetefabrik_krefeld_1973.html
  • 2020 Dreiring Werke, seifenfabrik